Für viele dürfte es überraschend sein, dass Familienangehörige von selbständigen EU-Bürgern unter Umständen Anspruch auf ein nationales Aufenthaltsrecht (nach Art. 56 AEUV) haben – und das selbst dann, wenn der EU-Bürger in seinem Heimatstaat lebt.
Art. 56 AEUV ist Primärrecht und immer UNMITTELBAR ANWENDBAR
Letzeres ist nämlich in der Regel nicht der Fall, da hierbei der grenzüberschreitende Bezug fehlen würde (siehe auch EU-Visum).
Voraussetzung hierfür ist dass der EU-Bürger auch in anderen EU-Mitgliedstaaten (als Selbständiger) Dienstleistungen erbringt. Die Leistungsempfänger müssen ebenfalls in diesem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig sein. Der Sprachnachweis ist somit in solchen Fällen nicht mehr zu erbringen. Der EU-Bürger muss lediglich nachweisen, dass er sich zur Leistungserbringung von Zeit zu Zeit auch in einen anderen EU-Staat begibt oder begeben hat.
Warum ist das so?
In Fällen grenzüberschreitender erwerbstätigkeit werden ebenfalls die Freizügigkeitsrechte zuerkannt (vgl. EuGH, Urteil vom 11.07.2002 – C-60/00 Carpenter). Dies gilt auch für Inländer, denn gemäß Art. 21 AEUV dürfen für solche Unionsbürger keine geringeren Rechte – als die anderer Freizügigkeitsberechtigter – gelten. Dies erfasst auch explizit den Familiennachzug von Familienangehörigen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2017 – C-165/16 Lounes). Selbst nach etwaigen Verstößen gegen einen Visumszwang ist ein Nachzug möglich (EuGH, Urteil vom 14.04.2005 – C-157/03 MRAX).
EU-Bürger, die in dem Mitgliedstaat wohnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, können die gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsbestimmungen normalerweise nicht in Anspruch nehmen; ihre Familienangehörigen aus Drittstaaten unterliegen weiterhin dem einzelstaatlichen Einwanderungsrecht. Dies gilt jedoch nicht für EU-Bürger, die in ihren Heimatmitgliedstaat zurückkehren, nachdem sie eine Zeitlang in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt haben, sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch für EU-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt haben, ohne sich dort länger aufzuhalten ( beispielsweise durch Erbringung von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat, ohne dort Aufenthalt genommen zu haben ).
Dokument 52009DC0313 – Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG
Artikel 49 EG ist im Licht des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens dahin auszulegen, dass er es verbietet, dass der Herkunftsmitgliedstaat eines in diesem Staat ansässigen Dienstleistungserbringers, der Dienstleistungen für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Empfänger erbringt, dessen Ehegatten, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist, den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet verwehrt, sofern diese Entscheidung, die einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens darstellt, nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht.
Rechtssache Carpenter
Natürlich habe ich nach diesem Fund direkt eine Anfrage beim Auswärtigen Amt und bei einer Beratungsstelle der EU gestellt. Die Antwort von der europäischen Beratungsstelle lautet wie folgt:
Ihrer Anfrage entnehmen wir, dass Sie wissen möchten, ob Ihre nicht-EU Familienangehörige ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß der Richtlinie 2004/38/EG in Deutschland nach der Rechtsprechung des EuGH in den Sachen Surinder Singh und Carpenter zukommt.
In der Rechtssache Sing (C-459/00) hat der EuGH entschieden, dass dem Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der gemeinsam mit dem Unionsbürger Freizügigkeitsrechte in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgeübt hat, nach der Rückkehr in den Heimatstaat dort dieselben Rechte zustehen wie zuvor im anderen EU-Mitgliedstaat, also insbesondere ein Aufenthaltsrecht aufgrund von Artikel 7 der Richtlinie 2004/38/EG.
In der Rechtsache Carpenter (C-60/00) hat der EuGH entschieden, dass dem nicht-EU Familienangehörigen ein (nationales) Aufenthaltsrecht im Heimatstaat zukommen muss, wenn der EU-Bürger dort niedergelassen ist und Dienstleistungen auch in anderen EU-Mitgliedstaaten erbringt, wohin er gemeinsam mit dem nicht-EU Familienangehörigen reist. Andernfalls sei Artikel 56 (vormals Artikel 49) des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verletzt.
Es ist daher korrekt, dass grundsätzlich auf Basis dessen, dass Sie Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten der EU an dort ansässige Klienten erbringen und dorthin gemeinsam mit Ihrer Ehegattin reisen, Ihrer Ehegattin möglicherweise ein Aufenthaltsrecht in Deutschland auf Basis von Artikel 56 AEUV gewährt werden müsste. Letztlich muss dies jedoch die für Sie zuständige Ausländerbehörde in Deutschland beurteilen, bzw. müssen Sie gegen eine allfällige negative Entscheidung darüber ein Rechtsmittel im innerstaatlichen Rechtsweg erheben, und auf die oben angeführte Rechtsprechung des EuGH verweisen. Beim angesprochenen Aufenthaltsrecht handelt es sich nicht um ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, sondern nach der oben angeführten Rechtsprechung um die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, dem Ehegatten eines Dienstleistungserbringers einen nationalen Aufenthaltstitel auszustellen.
Wir empfehlen Ihnen daher, die zuständige Ausländerbehörde direkt für weitere Fragen zu kontaktieren.
Ihr Europa – Beratung
Das Auswärtige Amt hingegen versucht einmal mehr den Fragesteller über seine Rechte zu täuschen und behauptet es läge eine „Beschränkung“ auf Rückkehrfälle vor:
jede Behörde soll grundsätzlich auf sachdienliche Anträge hinwirken, die (zukünftigen) Antragsteller*innen über Rechte und Pflichten informieren und sie zu den beizubringenden Unterlagen und Nachweisdokumenten sowie zu möglicher Beschleunigung im Ablauf des Verfahrens beraten. Dies erfolgt in der Regel über öffentlich zugängliche Merkblätter, Webseiten und Hinweise zu den regelmäßig nachgefragten Verfahren. Auch das Visumhandbuch mit weiteren Informationen steht der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Einzelfallbezogen erfolgen Erläuterungen beispielsweise zu fehlenden Unterlagen oder offensichtlichen Fehlern im Antrag (§ 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG entsprechend: „…Berichtigung…, wenn diese offensichtlich nur versehentlich…“).
Inwiefern der Wunsch Ihrer Ehefrau, nach Deutschland einzureisen, mit dem im genannten Urteil beschiedenen Fall vergleichbar ist, kann so nicht beurteilt werden. Auch im Bereich des Freizügigkeitsrechts ist jeder Antrag auf Erteilung eines Visums ein Einzelfall, der erst nach der Antragstellung geprüft werden kann.
Deutschland hat jedoch die Freizügigkeits-RL durch das FreizügG/EU umgesetzt. Die Konstellation des Nachzugs zu deutschen Staatsangehörigen ist dort ausdrücklich auf die sogenannten Rückkehrerfälle beschränkt (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 und Absatz 2 Nr. 1).
E-Mail des Auswärtigen Amts
Beim letzten Absatz wäre mir doch wieder fast die Kinnlade runtergefallen. Warum? Die Regelungen des FreizügG/EU sind rein deklaratorische Vorschriften. Sofern das FreizügG/EU europäische verbindliche Vorgaben nicht berücksichtigt, sind diese dennoch anzuwenden.
Was ist also die richtige Vorgehensweise?
Als Selbständige solltet ihr Euch Kunden im EU-Ausland suchen, welche ihr im EU-Ausland aufsuchen müsst. Das ganze könnt ihr dann z. B. mit der Rechnung und anderen geeigneten Unterlagen dokumentieren.
Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 5 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie alle erforderlichen Maßnahmen, um den von der Richtline erfassten Personen die Beschaffung der erforderlichen Visa zu erleichtern, zu treffen. Solltet Ihr also die Voraussetzungen erfüllen muss ein Einreisevisum nach EU-Recht ausgestellt werden.
Viel Erfolg!