Im Fall Singh (vgl. EuGH 7.7.1992, Rs C-370/90, Singh, Slg 1992, I-4265 Rn 19) entschied der EuGH, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates davon abgehalten werden könnte, sein Herkunftsland zu verlassen, wenn er bei Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht in den Genuss von Erleichterungen bei der Einreise oder hinsichtlich des Aufenthalts kommen könnte, die denen zumindest gleichwertig sind, die ihm nach dem Unionsrecht im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zustehen. Dies gilt unabhängig von einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Herkunftsstaat (vgl. EuGH 11.12.2007, Rs C-291/05, Eind, Slg 2007, I-10719 Rn 35 und 38). Ebenso könnte es den Unionsbürger davon abhalten, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, wenn sein Ehegatte und seine Kinder nicht mit ihm in seinen Herkunftsstaat zurückkehren könnten. Deshalb müssen drittstaatsangehörige Familienmitglieder zumindest in den Genuss jener Rechte kommen, die ihnen bei Einreise und Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat nach dem Unionsrecht zustehen würden (vgl. EuGH 7.7.1992, Rs C-370/90, Singh, Slg 1992, I-4265 Rn 20 und 23; EuGH 11.7.2002, Rs C-60/00, Carpenter, Slg 2002, I-6279 Rn 39; EuGH 23.11.2003, Rs C-109/01, Akrich, Slg 2003, I-9607 Rn 47 f.).

Die Beratungspraxis des Auswärtigen Amts zielt jedoch im Gegensatz hierzu darauf ab, die eigenen Staatsbürger an einer Auswanderung und Rückkehr zu hindern. Hier werden vom Auswärtigen Amt und den Ausländerbehörden auch gerne Märchen von einem Aufenthalt von mind. 1 Jahr erzählt. Die Dauer ist jedoch nicht unbedingt erheblich (siehe unten).

[…] sofern der vorherige Aufenthalt in dem anderen EU-/EWR Mitgliedstaat eine gewisse Qualität und Nachhaltigkeit aufweist (BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 17/09; BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 – 1 C 23/09).

[…]

Besteht ein hinreichender Verdacht, dass die Ausreise lediglich vorübergehend war und dem Zweck der Umgehung nationaler Familiennachzugsregelungen diente, ist das Recht auf Freizügigkeit wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen.

Ziffer 3.0.2 – AVV zum FreizügG/EU

Hier zeigt sich bereits in der nationalen Verwaltungsvorschrift FreizügG/EU die pervertierte deutsche Ansicht zu den Rechten von Unionsbürgern.

Die Vorschrift könnte sinngemäß auch so ausgestaltet sein (dies ist aber natürlich nicht der Fall):

[…]

Besteht ein hinreichender Verdacht, dass die Ausreise lediglich vorübergehend war und alleine dem Zweck der Umgehung nationaler Familiennachzugsregelungen diente, ist das Recht auf Freizügigkeit wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen.

Die Rechtssache Carpenter wird im gesamten Dokument nicht einmal aufgeführt und es wird von einer gewissen „Qualität und Nachhaltigkeit“ gesprochen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird sodann vom Auswärtigen Amt und Ausländerbehörden großzügig (für die Betroffenen negativ) ausgelegt, obwohl das zugrundeliegende Urteil einen extrem kurzen Aufenthalt thematisiert hatte.

Im Einzelnen versucht das Auswärtige Amt den unbedarften Leser einmal mehr zu täuschen. In den aufgeführten deutschen Urteilen versuchte das Paar die Freizügigkeitsrechte in Anspruch zu nehmen, nachdem diese lediglich während eines Kurzaufenthalts in Dänemark geheiratet hatten. Bereits der gesunde Menschenverstand lässt erahnen, dass hier nicht wirklich die Freizügigkeitsrechte in Anspruch genommen wurden. Ein kurzer Aufenthalt oder Urlaub begründet demnach natürlich kein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht bei einer Rückkehr für den Ehepartner.

Sollte jedoch der Wohnsitz in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegt werden (d. h. der alte Wohnsitz muss aufgegeben werden) und wird dort einer Tätigkeit nachgegangen, sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum, kann hier keinesfalls von einem Missbrauch gesprochen werden.

Zum Thema Rechtsmissbrauch lesen Sie bitte auch die Hilfestellung zur Richtlinie.

Die Rückkehr eines Unionsbürgers in sein Herkunftsland kann demnach nicht als reiner Inlandssachverhalt betrachtet werden (vgl. EuGH 11.12.2007, Rs C-291/05, Eind, Slg 2007, I-10719 Rn 36 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es ohne Belang, welche Absichten den Unionsbürger dazu veranlassen in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. EuGH 23.11.2003, Rs C-109/01, Akrich, Slg 2003, I-9607 Rn 55 f.) Gleiches gilt für die Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat (vgl. Leidenmühler, Zur Aufenthaltsberechtigung von Drittstaatsangehörigen in Ableitung vom Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger, The European Legal Forum, 4-2008, Nummer 4, 2008, II-85-92 (90)).

Nach alledem dürfte die Beratungspraxis des Auswärtigen Amts und der Ausländerbehörden im krassen Gegensatz zu den Entscheidungen des EuGH stehen, denn die Beratungspraxis zielt darauf ab die Betroffenen durch Desinformationen an einer Auswanderung zu hindern, was für sich alleine genommen bereits einen Verstoß gegen Unionsrecht darstellt.

Auch in anderen Fällen nach Art. 56 AEUV zeigt sich die fragwürdige Beratungspraxis des Auswärtigen Amts.

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