In unserer vorherigen Berichterstattung haben wir bereits berichtet wie die Bundesregierung durch das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt versuchen durch offensichtliche Falschauskünfte die Freizügigkeitsrechte der Betroffenen in unzulässigerweise einzuschränken.

Gut zu Wissen: Eine Beschwerde auf EU-Ebene kann unter https://ec.europa.eu/assets/sg/report-a-breach/complaints_de/index.html eingereicht werden.

Daher haben wir nunmehr Beschwerde beider Europäischen Kommission wegen der systematischen Verletzung europäischer Rechtsvorschriften eingereicht, u. a. zu den Punkten:

  • Zwang zur Ausreise um (unnötigerweise) ein neues Visum zu beantragen.
  • Verweigerung der (bloßen) Durchreise durch Deutschland trotz grenzüberschreitenden Bezugs
  • Falschauskunft zur Zuständigkeit mit dem Ziel der Irreführung
  • Androhung strafrechtlicher Konsequenzen, eines Bußgelds und eines Reiseverbots
  • Weigerung alle erforderlichen Maßnahmen im Sinne von Ziffer 2.2.1 KOM/2009/0313 endg. zu treffen
  • Fehlerhafte Umsetzung von EU-Recht in §2a Abs. 2 S. 1 FreizG

In diesem konkreten Fall ging es um die Frage, ob ein Familienangehöriger eines (deutschen) Unionsbürgers mit einem abgelaufenen Typ-C Visum für Familienangehörige (nicht Touristen) und ohne eine Aufenthaltskarte durch Deutschland von z. B. Polen nach Frankreich reisen darf um die Rechte aus Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG (Aufenthalt von bis zu 3 Monaten je Mitgliedsstaat) auszuüben.

Es ist unzuweifelhaft, dass ein Familienangehöriger eines deutschen Unionsbürgers in anderen EU-Mitgliedsstaaten die Rechte aus Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG für sich beanspruchen kann, d. h. auch eine Durchreise durch Deutschland ist problemlos möglich (siehe auch unser Beitrag zur 90/180-Tage-Regelung).

Auf konkrete Anfrage hin versuchte jedoch das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt die Betroffenen zu einer Ausreise zu bewegen und ein neues Visum im Ausland zu beantragen, obwohl die Mitgliedsstaaten freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und deren Familienangehörigen zu einem derartigen Vorgehen nicht zwingen dürfen.

Die Behörden der Mitgliedstaaten sollten die Familienangehörigen beraten, welche Art von Visum sie beantragen sollen. Sie dürfen von ihnen nicht verlangen, dass sie ein Langzeitvisum, eine Aufenthaltskarte oder ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen. Die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um diesen Personen die Beschaffung der erforderlichen Visa zu erleichtern.

Ziffer 2.2.1. (Einreisevisum) der Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG

Aber dabei bleibt es beim BMI nicht, es erfolgte auch umgehend eine indirekte Androhung von Strafverfolgung:

[…] Bitte beachten Sie unbedingt § 50 Aufenthaltsgesetz:

(1)Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

Für Drittstaatsangehörige, die ein Schengen-Visum benötigen, kann eine Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer – d. h. wenn sie sich länger als 90 Tage im Schengen-Raum aufhalten- zu Konsequenzen führen wie Bußgeld, Einreiseverbot oder sogar zu einer strafrechtlichen Verfolgung. […]

Auszug aus der Antwort vom 28. Juli 2023 der Bürgerkommunikation im Bundesministerium des Innern und für Heimat

Da sich die Bundespolizei und das Auswärtige Amt zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht zu einer klaren Antwort durchringen konnten oder wollten haben wir eine Fachaufsichtsbeschwerde beim BMI und beim Auswärtigen Amt eingereicht.

Vom BMI erhielten wir dann vom zuständigen Fachreferat die vollkommen falsche Antwort, dass für eine Durchreise durch die Bundesrepublik gem. § 2a Abs. 2 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ein Visum erforderlich sein soll:

[…] Ich entnehme Ihren Ausführungen, dass Ihr konkretes Anliegen dahin geht, dass Sie sinngemäß eine amtliche Bestätigung wünschen, dass ein visumfreier Transit mit Ihrer Ehefrau durch das Bundesgebiet nach einem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtlich unproblematisch wäre.


Nach § 2a Absatz 2 Satz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU benötigen drittstaatsangehörige Familienangehörige für die Einreise in das Bundesgebiet auch bei der Wahrnehmung von ihnen kraft Gesetzes – zustehenden Freizügigkeitsrechte ein Visum. Da Freizügigkeitsrechte kraft Gesetzes entstehen, handelt es sich bei diesen kostenfrei zu erteilenden Visa um deklaratorische Visa, die also eine bestehende Berechtigung bescheinigen.

Da das Gesetz somit für die Erteilung einer Bescheinigung, dass ein Recht zur Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Einzelfall ein Verfahren vorsieht, nämlich das Visumverfahren, und da das Gesetz ebenso für die Bescheinigung selbst eine Form vorsieht, nämlich diejenige eines Visums, ist für die Erteilung anderer Bescheinigungen mit entsprechendem Inhalt und für andere Verfahren kein Raum. Sie können nicht beanspruchen, dass Ihnen anstelle des dafür vorgesehenen Dokuments eine andere Bescheinigung in einem anderen Verfahren durch nicht zuständige Stellen (Bundesministerium des Innern und für Heimat; Bundespolizei) erteilt wird. […]

Auszug aus der (inhaltlich falschen Antwort) vom 01.09.2023 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat

Dies ist besonders bedenklich, da das BMI für die Umsetzung der europarechtlichen Vorschriften in nationales Recht zuständig ist – und dem Anschein nach entweder keine Ahnung hat wie diese Vorschriften umzusetzen sind oder schlichtweg die europarechtlichen Vorgaben nicht umsetzen will (s. u.).

Auch ist es äußert fraglich warum das BMI die Zuständigkeit der Bundespolizei abzustreiten versucht, wenngleich die Bundespolizei für Grenzüberschreitungen an den Binnengrenzen (Grenzen zwischen den EU-Ländern) alleine zuständig ist.

Die Antwort des BMI stammte im Übrigen nicht von irgend einem Rechtsreferendar, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Referatsleiter selbst.

Das Auswärtige Amt hüllte sich weitgehend in Schweigen und versuchte eine Antwort zu vermeiden, selbst als ich darauf hingewiesen hatte – mich als Selbständiger mit Kunden in anderen EU-Ländern – aufgrund von Artikel 56 AEUV ebenfalls in meinen freizügigkeitsrechten eingeschränkt zu sehen, blieb eine zielführende Antwort aus.

Die Beschwerde bei der Europäischen Kommission haben wir mit der folgenden Begründung eingereicht:

Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit trotz des grenzüberschreitenden Bezugs und vorheriger Ausübung des Freizügigkeitsrechts, insbesondere Verweigerung eines Transits durch Deutschland

Ich (Deutscher) und meine Frau (DRITTSTAAT) mit einem Schengen-Visum Typ C (für Familienangehörige von Unionsbürgern) gültig bis 29. September 2023 wollten am 30. September oder später (gemeinsam) nach Deutschland einreisen, nachdem wir zuvor in mehreren Mitgliedsstaaten von unserem Recht nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG Gebrauch gemacht haben. Die Einreise sollte demnach (gemeinsam) ohne gültiges Visum (oder Aufenthaltskarte) für bis zu 3 Monate auf der Grundlage von Art. 6 Richtlinie 2004/38/EG erfolgen.

Gemäß Ziffer 2.) in Kapitel III des Handbuchs zum Visakodex [K(2020) 395 endg.] und Ziffer 2.1.2.) des Praxishandbuchs für Grenzschutzbeamte [K(2022) 7591 endg.] sollte dies im Sinne des Art. 5 Abs. 4 Alt. 3 der Richtlinie 2004/38/EU problemlos möglich sein.

Die familiäre Bindung und somit die Anspruchsberechtigung werden durch eine internationale Heiratsurkunde (ausgestellt von Deutschland) mit mehrsprachigem Formular nachgewiesen.

Wenn meiner Frau eine Durchreise – von z. B. Österreich nach Frankreich über Deutschland – zusammen mit mir verweigert wird, obwohl wir zuvor (in mehreren Mitgliedsstaaten) unsere Rechte nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG ausgeübt haben, würde Deutschland mir den Genuss des Kernbestands meiner Rechte als Unionsbürger verwehren.

Die Regelungen des FreizügG/EU sind rein deklaratorische Vorschriften. Sofern das FreizügG/EU europäische verbindliche Vorgaben nicht berücksichtigt, sind diese dennoch anzuwenden.

Für den Fall eines unzulässigerweise geforderten Einreise- oder Transitvisums durch Deutschland (an der Binnengrenze) hatte ich bereits am 15.08.2023 um Terminvergabe, zur Erteilung eines entsprechenden Visums an einer Auslandsvertretung in z. B. Tschechien binnen der nächsten 2 Wochen, gebeten – ohne Erfolg.

Ich habe dementsprechend keine Informationen darüber erhalten, wie ein Ausnahme-Visum nach Freizügigkeitsrecht gem. § 2 Abs. 4 FreizügG/EU an einer BINNENGRENZE beantragt werden könnte.

Das Fehlen eines solchen Visums begründet meiner Auffassung nach keinen Einreiseverweigerungsgrund, denn das Visum wäre kein konstitutiver Verwaltungsakt, sondern nur eine deklaratorische Bescheinigung des Kraft Unionsrecht bereits bestehenden abgeleiteten Freizügigkeitsrechts.

Ein Visum zur Einreise ist nur an einer Außengrenze nicht aber an einer Binnengrenze erforderlich, sofern es sich um freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige handelt.

Grundsätzlich besteht das Freizügigkeitsrecht aus einer genehmigungsfreien Einreise und einem genehmigungsfreien Aufenthalt. Die Einreisevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 SGK gelten für Freizügigkeitsberechtigte nicht, sondern nur für Drittstaatsangehörige. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige aus Drittstaaten die Erteilungsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. VK i. V. m. Art. 6 Abs. 1 SGK ebenfalls keine Anwendung finden.

Die Auslandsvertretungen mehrerer anderer Mitgliedsstaaten haben mir bereits bestätigt, dass eine Durchreise und ein damit einhergehender Aufenthalt von bis zu 3 Monaten – auf Basis der Freizügigkeitsrichtlinie – auch mit abgelaufenem Visum unproblematisch ist und dass grundsätzlich keine Visa für Binnengrenzüberschreitungen ausgestellt werden.

Ich betone: Es handelt sich nicht um einen Rückkehrfall. Ich hatte kein Interesse daran in Deutschland einen Wohnsitz zu nehmen und meiner Frau die m. M. n. menschenunwürdigen Bestimmungen des AufenthG aufzubürden. Auch handelt es sich nicht um unseren ersten Aufenthalt im Schengenraum.

Ferner bin ich nicht länger gewillt diese systematische Missachtung europäischen Rechts durch mehrere Bundesbehörden hinzunehmen.

Ich habe das Bundesministerium des Innern, das Auswärtige Amt und die Bundespolizei darum gebeten mir Klarheit darüber zu verschaffen, ob ich zusammen mit meiner Ehefrau durch Deutschland hindurch reisen kann, wenn ich mich zuvor auf Basis von Art. 6 der Freizügigkeitsrichtlinie in mehreren anderen Mitgliedsstaaten – mit einem abgelaufenen deklaratorischen Visum Typ C für Familienangehörige von Unionsbürgern – aufgehalten habe und beispielsweise von Polen über Deutschland nach Frankreich mit dem Auto reisen möchte.

Sowohl das Bundesministerium des Innern als auch das Auswärtige Amt haben uns unzulässigerweise dazu gedrängt den Schengenraum zu verlassen um ein neues Visum einzuholen, obwohl meine und auch die Freizügigkeitsrechte meine Ehefrau konstitutiv bestehen.

Das BMI ist für die Ausarbeitung der Gesetzgebung in Deutschland mitverantwortlich. Daher lässt die falsche Anwendung und Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (in Bezug auf §2a Abs. 2 S. 1 FreizG und Art. 6, 7 der Freizügigkeitsrichtlinie) durch das BMI selbst (!) eine systematische falsche Umsetzung und Anwendung der Vorschriften der Freizügigkeitsrichtlinie erkennen.

Es besteht Handlungsbedarf auf Seiten der Kommission hier einzuschreiten und eine Anpassung der nationalen Gesetzgebung zu empfehlen.

Weiter wurde die Zuständigkeit der Bundespolizei bei Binnengrenzüberschreitungen, durch das BMI und das Auswärtige Amt verneint, obwohl nur die Bundespolizei für solche Binnengrenzüberschreitungen zuständig ist. Dies erfolgte alleine mit dem Ziel mich und meine Ehefrau an der Ausübung unserer Freizügigkeitsrechte zu hindern. Insbesondere wurde versucht uns die bloße Durchreise mit dem Auto zu verwehren, obwohl wir zuvor unsere Freizügigkeitsrechte in mehreren anderen Staaten ausgeübt haben.

Daraufhin habe ich eine Fachaufsichtsbeschwerde eingereicht welche für uns negativ beschieden wurde, d.h. auch hier wurden uns unsere Freizügigkeitsrechte weiterhin verwehrt, obwohl uns diese zustehen und ich den Sachverhalt ausführlich dargestellt habe. Im Einzelnen wurde weiterhin darauf gedrängt auszureisen und ein unnötiges Visum einzuholen. Auch wurde erneut eine Falschauskunft zur Zuständigkeit bei Binnengrenzüberschreitungen erteilt, mit dem Ziel uns zur Ausreise zu bewegen.

Weitere Details entnehmen Sie bitte meiner Fachaufsichtsbeschwerde (siehe Anhang) sowie dem Bescheid vom 26. August 2023 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat sowie der E-Mail der gleichnamigen Behörde vom 28. Juli 2023 und meine ursprüngliche Anfrage vom 27. Juli 2023 an die Behörde.

Das Auswärtige Amt ignorierte schlichtweg entsprechende Anfragen. Die deutsche solvit-Stelle weigerte sich die Anfrage zu beantworten mit der Begründung, es würden keine abstrakten Rechtsfragen behandelt.

Aufgrund der Nichtbeantwortung habe ich am 26. August 2023 eine Fachaufsichtsbeschwerde beim Auswärtigen Amt eingelegt, welche trotz einer gesetzlichen Verpflichtung zur Beantwortung ebenfalls ignoriert wurde. Auch diese befindet sich im Anhang.

In der Gesamtschau zeigt sich, dass hier grundlegende Rechte missachtet werden.

Auszug aus unserer Beschwerde bei der Europäischen Kommission

Wir haben nochmal Beschwerde eingereicht

Wir haben vom Auswärtigen Amt auf unsere Fachaufsichtsbeschwerde erneut eine fehlerbehaftete Antwort erhalten. Das Auswärtige Amt erklärte sich nun plötzlich für unzuständig, hält aber das Durchreiseverbot weiterhin aufrecht. Im Einzelnen forderte das Auswärtige Amt eine „nachhaltige Ausübung“ des Freizügigkeitsrechts wie dies etwa bei „Rückkehrfällen“ gefordert wird.

Hieraus ergibt sich effektiv ein Durchreiseverbot durch Deutschland. Beispiel: Einem deutschen Staatsbürger wäre es nach dieser Rechtsauffassung nicht mehr möglich von der Tschechischen Republik über Deutschland nach Frankreich mit dem Auto zu fahren.

Ursprünglich hatten wir uns darüber beschwert, dass ein solches Durchreiseverbot unzulässig sein muss, selbst dann wenn das vorher erteilte Schengenvisum für Familienangehörige von Unionsbürgern bereits abgelaufen ist (und wir uns in verschiedenen Mitgliedsstaaten jeweils maximal 90 Tage lang aufhalten).

Die Forderungen des Auswärtigen Amts betreffen aber nicht nur unsere „Spezialfälle“, sondern automatisch alle „normalen Fälle“.

Beispiel

Wenn ein Unionsbürger zusammen mit seinem Familienangehörigen (egal ob mit abgelaufenem oder gültigen Visum) einen Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat nimmt oder zumindest beabsichtigt einen solchen zu nehmen, so hat der Unionsbürger 3 Monate lang Zeit eben diesen Wohnsitz anzumelden oder „weiterzureisen“. Hier kann ein Unionsbürger auch zurecht von sich behaupten: „Wir prüfen ob der Staat xy dauerhaft als Wohnsitz für uns in Frage kommt“.

Nach der Rechtsansicht vom Auswärtigen Amt wäre daher auch in einem solchen normalen Fall eine Durchreise durch Detuschland unmöglich – was letztendlich eine systematische Falschauslegung der Freizügigkeitsrichtlinie wäre.

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