Das sind nicht Sie, wenn Sie aus dem Urlaub zurückkommen. Sie fahren da einfach durch. Aber diejenigen, die mit irgendwelchen komischen Autos da lang fahren, mit irgendwelchen komischen Figuren drin, die werden eben auf die Seitenspur geholt und mal kontrolliert. Und genau diese Kontrollen, die brauchen wir in Deutschland, an den den deutschen Grenzen, damit wir dieses Problem irgendwann einmal sauber in den Griff bekommen.

Die Äußerung von nunmehr Bundeskanzler Friedrich Merz über die Notwendigkeit verstärkter Binnengrenzkontrollen in Deutschland ist nicht nur politisch irreführend, sondern auch rechtlich und moralisch hoch problematisch. Mit Aussagen über „komische Autos“ und „komische Figuren“ wird auf beunruhigende Weise ein Klima der pauschalen Verdächtigung geschaffen – diffus, aber fast schon rassistisch codiert und erinnert direkt an die Rede von Horst Seehofer, bei welcher der Satz fiel „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone„.

Bis vor kurzem war es noch undenkbar, solche Äußerungen erneut zu hören, doch nun könnte wohl ein großes Comeback fragwürdiger Äußerungen der CDU/CSU anstehen.

Diskriminierung durch Pauschalisierung

Die Sprache des Kanzlers ist in ihrer vagen Formulierung bewusst darauf angelegt, sich einer klaren rechtlichen Bewertung zu entziehen – und entfaltet gerade dadurch ihre Wirkung: Sie suggeriert, dass Menschen, die nicht dem vermeintlich „normalen“ Erscheinungsbild entsprechen, womöglich als Problem zu gelten haben. In der Praxis trifft dies insbesondere Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund, Unionsbürger aus Ost- und Südeuropa, sowie Familienangehörige deutscher Staatsbürger mit Drittstaatenherkunft. Die Gleichsetzung äußerlicher Merkmale oder mutmaßlicher Herkunft mit einem „Sicherheitsrisiko“ ist eine klassische Form struktureller Diskriminierung und verletzt vermutlich sowohl den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG als auch das Diskriminierungsverbot aus Art. 21 der EU-Grundrechtecharta.

Unionsrechtlich verfassungswidrig: Angriff auf die Freizügigkeit

Noch gravierender ist der europarechtliche Befund. Die Freizügigkeit der Personen ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union. Binnengrenzkontrollen dürfen nur unter strengen Voraussetzungen (z. B. bei konkreter Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit) und zeitlich begrenzt eingeführt werden. Die pauschale Forderung nach „dauerhaften“ oder „flächendeckenden“ Kontrollen widerspricht diesem Prinzip frontal. Hiermit setzt sich der Kanzler in offenen Widerspruch zum europäischen Recht und beschädigt das Vertrauen in den Schengenraum.

Kein sicherheitspolitischer Anlass – Zahlen sprechen eine andere Sprache

Die Bundesregierung selbst hat am 2. Mai 2025 die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als positiven Trend bezeichnet: Die Zahl der Asylgesuche lag im April 2025 auf dem zweitniedrigsten Stand der letzten zehn Jahre. Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex meldet einen Rückgang der irregulären Grenzübertritte um 25 % im Vergleich zum Vorjahr. Vor diesem Hintergrund ist klar: Eine objektive Notwendigkeit für Binnengrenzkontrollen besteht nicht. Das sicherheitspolitische Argument erweist sich als vorgeschoben – es geht offenkundig nicht um reale Gefahren, sondern um symbolische Politik auf dem Rücken von Minderheiten.

Verfassungsrechtlich bedenklich: Sprache mit Sprengkraft

Die Wortwahl des Kanzlers offenbart nicht nur ein zweifelhaftes Verständnis von staatlicher Verantwortung, sondern lässt tief blicken in ein politisches Weltbild, das zunehmend bereit ist, gesellschaftlichen Zusammenhalt gegen vermeintliche Sicherheit zu tauschen. Die Rede bedient sich abwertender Chiffren, die leicht in rassistische Denkmuster übergehen können. Die Formulierung „komische Figuren“ ist dabei nicht harmlos – sie entmenschlicht subtil und gefährlich, indem sie betroffene Menschen aus dem Kreis der „normalen“ Bevölkerung ausgrenzt. Dies wird auch zu Beginn der Rede deutlich als Herr Merz dem Publikum erklärte: „Das sind nicht Sie, wenn Sie aus dem Urlaub zurückkommen. Sie fahren da einfach durch.“

Kanzlerschaft in der Grauzone

Wenn Politiker damit beginnen, Freiheitsrechte infrage zu stellen, rechtsstaatliche Grenzen rhetorisch zu verschieben und diskriminierende Denkmuster salonfähig zu machen, dann ist das mehr als nur ein politischer Ausrutscher. Es ist ein Angriff auf die Grundwerte unserer Verfassung, auf das Prinzip der Nichtdiskriminierung, auf die europäische Einigung – und letztlich auf die Würde der Menschen, die in dieser Gesellschaft leben. Es braucht nicht weniger als eine breite, entschlossene gesellschaftliche und juristische Gegenrede, um diese gefährliche Entwicklung zu stoppen.

Share: