Sehr geehrter Herr Alexander Dobrindt,
die aktuell eingeführten „temporären“ Binnengrenzkontrollen an den deutschen Grenzen haben erhebliche Auswirkungen auf Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie deren Familienangehörige. Leider ist zunehmend zu beobachten, dass diese Personengruppen unverhältnismäßig belastet und faktisch drangsaliert werden – obwohl sie gemäß EU-Recht uneingeschränkten Anspruch auf Einreise und Aufenthalt haben.
Wir möchten daher mit diesem offenen Schreiben an Sie appellieren:
So wenig Kontrolle wie nötig, so zügig wie möglich.
Nach Art. 21 AEUV besitzen Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Freizügigkeitsrecht erstreckt sich gemäß Richtlinie 2004/38/EG ausdrücklich auch auf Familienangehörige, einschließlich solcher aus Drittstaaten, sofern sie über eine gültige Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 der Richtlinie verfügen.
Mit Vorlage eines gültigen Reisepasses und – im Fall von drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern – einer EU-Aufenthaltskarte nach Art. 10 RL 2004/38/EG, sind sämtliche Einreisevoraussetzungen erfüllt. Eine Zurückweisung an der Grenze oder eine weitergehende Kontrolle ist weder notwendig noch unionsrechtlich zulässig.
Die derzeit häufig praktizierte zusätzliche Überprüfung von Führerschein, Fahrzeugpapieren oder Gepäck ist in diesen Fällen rechtlich unbegründet und entbehrt jeder sachlichen Erforderlichkeit. Es handelt sich um polizeiliche Maßnahmen, die geeignet sein müssten, das mit der temporären Wiedereinführung der Kontrollen verfolgte Ziel – etwa den Schutz der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit – zu erreichen. Art. 25 ff. des Schengener Grenzkodex (Verordnung (EU) 2016/399) erlaubt die zeitlich befristete Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen ausschließlich in Ausnahmefällen, in denen eine schwerwiegende Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit vorliegt. Diese Maßnahmen dürfen nicht dazu verwendet werden, allgemeine oder gar routinemäßige Kontrollen durchzuführen, die dem Binnenmarktziel und der Personenfreizügigkeit widersprechen.
Wenn Grenzkontrollen eingeführt werden, müssen sie sich strikt auf das zur Gefahrenabwehr erforderliche Maß beschränken. Sie dürfen nicht als Vehikel genutzt werden, um darüber hinausgehende, nicht erforderliche Maßnahmen durchzuführen, die insbesondere rechtmäßig einreisende Unionsbürger und deren Familienangehörige unangemessen belasten. Die aktuelle Praxis widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Geist der europäischen Integration.
Ich bitte Sie daher eindringlich, sich für eine praxistaugliche, unionsrechtskonforme und verhältnismäßige Umsetzung der Grenzkontrollen einzusetzen. Eine Weisung an die Bundespolizei, bei klar nachgewiesener Freizügigkeitsberechtigung (Reisepass/EU-Aufenthaltskarte) auf weitere Maßnahmen zu verzichten, wäre ein einfacher und wirkungsvoller Schritt. Damit könnte das legitime Ziel – die Bekämpfung illegaler Migration und Schleusungskriminalität – verfolgt werden, ohne rechtsstaatlich geschützte Freiheiten unnötig einzuschränken.